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Kungfu in München

Arbeit an Fertigkeiten, Körper und Geist

Der Begriff Kungfu

Die meisten Menschen denken bei Kungfu an Hongkong-Filme aus den 70er Jahren, an Bruce Lee und Jackie Chan, an moderne Show-Akrobatik, oder an esoterische, mystische Bewegungskünste. Irgendwie hat das alles damit zu tun, ist aber doch weit weg von der eigenlichen Quelle.

 

In China dient der Begriff, der in moderner Umschrift Gongfu geschrieben wird, als allgemeines Wort für Kampfkunst.  Dabei hatten die Schriftzeichen für Gongfu 功夫 keinen direkten Bezug zur Kampfkunst. Sie beschreiben Fertigkeiten, die sich ein Mensch über einen längeren Zeitraum erarbeitet (hat). Damit können auch Musiker oder Köche Gongfu haben.

 

Natürlich passt der Begriff für Kampfkunst ganz gut. Wir wollen ja auch verlässliche Fertigkeiten entwicklen und aufbauen. Wir wollen körperlich und geistig gesund, stark und fähig sein. Und wir wollen uns auf unser Können verlassen, falls es doch mal zu einer Konfrontation kommt. Deswegen sprechen Chinesen in diesem Kontext sehr oft davon, dass Übende Gongfu haben oder nicht. So wird die Verbindung der Begriffe verständlich.

Es gibt noch viele andere Begriffe für chinesische Kampfkünste. Zur Kaiserzeit, also vor dem 20. Jahrhundert, waren quanfa (拳法; wörtlich Faustkampf-Methode oder Box-Methode) und quanshu (拳术; wörtlich Faustkampf-Kunst) sehr verbreitet. Während der Republikzeit (1911-1949) wurde der Begriff guoshu (国术, nationale Kunst) verwendet. Hier wollte man den Gedanken eines Nationalsports in China verankern.

In der Volksrepublik China werden Kampfkünste mittlerweile offiziell mit dem Begriff wushu (武术; Kampfkunst) bezeichnet. Hier bei uns verknüpfen wir damit meistens moderne Kampfkunstformen, die vor allem auf ästhetische Performance ausgerichtet sind. Diese werden auf Chinesisch als xiandai wushu (现代武术; moderne Kampfkunst) oder bisai wushu (比赛武术; Wettkampf-Kampfkunst) bezeichnet. Sie haben sich in der Tat in vielen Fällen sehr weit von den traditionellen Formen wegentwickelt, auch weil Einflüsse aus Akrobatik und Sportgymnastik eingeflossen sind.

Bedeutung Gongfu
Nord- und Südstile

Unser Kungfu

南拳

北腿

Unser Taijiquan ist also ein Kungfu-Stil aus Nordchina. Die meisten kennen Taiji (oder eben Taichi) als langsame Gymnastik älterer Chinesen im Park. Wie passt das denn zusammen?

Taijiquan hat eine lange, bisweilen wilde Geschichte hinter sich. Die Kurzform: Im 20. Jahrhundert sind vereinfachte Übungen aus dem Taijiquan entstanden. Damalige Lehrer wollten der breiten Masse eine Möglichkeit geben, die Körperarbeit des Taijiquan zu erleben - und damit auch die gesundheitlichen Effekte des Trainings zu spüren. Die Kampfkunst selbst war aber zu anspruchsvoll und komplex für diese Art des Unterrichts. Also entwarfen sie vereinfachte und reduzierte Versionen des Taijiquan.

Die ursprüngliche, anspruchsvolle Kampfkunst hat aber sehr viel zu bieten. Die Körperarbeit ist voll und ganz enthalten - und wird mit intensivem, funktionalem Training für Kraft, Beweglichkeit und Koordination kombiniert. Der Aspekt der Introspektion - der Fokus auf uns selbst, unsere Körperwahrnehmung, und unsere geistigen Prozesse - spielt immer mit. Und wenn wir dann das Partnertraining dazunehmen, können wir Körperwahrnehmung und Körpermechanik testen und vertiefen. Und wir entwickeln, fast schon nebenbei, Fähigkeiten im Umgang mit körperlicher Konfrontation.

Was genau üben wir denn jetzt? Wir trainieren einen nordchinesischen Kungfu-Stil, der aus dem Dorf Chenjiagou in der Provinz Henan stammt. Er wurde dort von verschiedenen Familien innerhalb des Chen-Klans unterrichtet, angewandt und verbreitet. Der volle Name ist Chen-Stil Taijiquan - oft auch falsch als Taichichuan transkribiert.

 

Bei manchen kommt jetzt Verwirrung auf. Ist Taijiquan nicht etwas anderes als Kungfu? Kurze Antwort: Nein, Taijiquan ist nicht etwas anderes, sondern ein einzelner Stil des Kungfu. Das erkennen wir auch am Namen: Taijiquan bedeutet wörtlich "Boxen des Taiji-Prinzips". Der Stil beruft sich auf das taiji tu 太极图, das Symbol für Yin und Yang.

Andere nördliche Kungfu-Stile tragen ähnlich blumige Namen: Tongbeiquan 通背拳 (Durch-den-Rücken-Boxen), Bajiquan 八极拳 (Boxen der Acht Extreme), Hongquan 红拳 (Rotes Boxen) oder Xingyiquan 形意拳 (Boxen von Form und Geist). 

Genauso sieht es in Südchina, wo Stile aber oft im lokalen Dialekt benannt sind. Hongjiaquan 洪家拳 (Hong-Familien-Boxen) heißt dort Hunggarkuen. Und das berühmte Wingchun lautet auf Hochchinesisch Yongchunquan 咏春拳 (Boxen des Singenden Frühlings).

Kungfu trainieren - Wie und warum?

Die Motivationen von Menschen, die Kampfkunst oder Kampfsport trainieren, sind vielfältig. Manche möchten sich verteidigen können, oder zumindest mehr Selbstbewusstsein entwickeln. Andere suchen nach körperlicher und geistiger Disziplin, und sind vielleicht von asiatischer Kultur fasziniert. Manche wollen sich im Wettkampf messen, andere stark, gesund und fit werden oder bleiben. Oder es geht einfach nur um körperliche Betätigung in einem sozialen Umfeld von Gleichgesinnten.

Kungfu kann all das bedienen, in verschiedenem Maße. Die Stile unterscheiden sich, und jeder Lehrer legt eigene Schwerpunkte. Allen gemein ist aber, dass traditionelles Kungfu immer eine Mischung verschiedener Elemente ist. Kein Stil war nur auf Gesundheit oder nur auf Kampf ausgelegt. Wer also nur an einem einzigen, ganz konkreten Ergebnis interessiert ist, findet vermutlich bessere Alternativen. Modernes Boxen führt sehr schnell zum Wettkampf; Qigong fokussiert komplett auf körperliche und geistige Gesundheit, ohne Ablenkungen.

Aber gerade die Mischung kann heilsam sein. Was bringen mir kämpferische Fähigkeiten, wenn ich meine Gesundheit dafür opfere? Und wie gesund bin ich wirklich, wenn ich zwar meditiere, aber schon nach 500 Metern Laufen komplett außer Atem bin?

 

Kungfu-Training ist immer ganzheitlich. Daran orientieren wir uns auch im Chen-Stil Taijiquan. Wir legen großen Wert auf Körperarbeit. Dazu gehören sowohl Körperwahrnehmung als auch körperliche Anstrengung - es heißt eben auch Körperarbeit! Gezielte Übungen für Kraft und Beweglichkeit machen uns körperlich fit - während Elemente der Achtsamkeit für geistige Ausgeglichenheit sorgen.

Und wir betonen die kämpferische Seite: Weil sie uns weiter stärkt und kräftigt; weil sie Verständnis für unser individuelles Training bringt; weil wir uns spielerisch mit anderen messen können, wenn wir es wollen; und weil wir Fertigkeiten und Selbstbewusstsein für den Ernstfall aufbauen.

Inneres und äußeres Gongfu
Vielfalt

Inneres und äußeres Kungfu

外家

​内家

Wer sich schon mit Taijiquan beschäftigt hat wird eine Unterscheidung kenne, die oft gemacht wird. Es geht um die Aufteilung in die innere und äußere Schule der Kampfkunst, oder auf Chinesisch: neijia (内家) und waijia (外家). Als Systeme der inneren Schule werden vor allem Taijiquan, Xingyiquan und Baguazhang aufgeführt. Alle anderen Systeme fallen dann, per Definition, in den Bereich der äußeren Kampfkünste.

Innere Kampfkünste werden oft als Übungssysteme beschrieben, die abstrakte Konzepte wie qi (气, Atem oder Energie), jing (精, Essenz) oder shen (神, Geist) kultivieren sollen. Die meisten dieser Konzepte stammen aus dem Daoismus, der chinesischen Medizin, oder Gesundheitsübungen wie daoyin (导引, führen und ziehen) und tuna (吐纳, ein- und ausatmen). Allerdings haben sie dort oft eine ganz andere Bedeutung.

 

Zur Unterscheidung von Kungfu-Stilen reichen diese Begriffe nicht wirklich. Auch Systeme, die offiziell als äußere Kampfkunst gelten, verwenden diese Begriffe und die dahinter stehenden Konzepte. Innere Stile trainieren ebenfalls Kraft und Ausdauer. Die Unterscheidung in innere und äußere Stile ist auch verzerrt, weil alle klassischen, internen Systeme nördlichen Ursprungs sind. Südliche Systeme fallen damit oft aus dem Raster.

Statt über komplette Kampfkunstsysteme spricht man vielleicht besser über bestimmte Qualitäten. Ein Übungssystem der inneren Kampfkunst hat demnach einen stärkeren Fokus auf Körperhaltung und Körpermechanik - es geht also um Körperarbeit und die Optimierung von Biomechanik. Schläge oder Würfe werden nicht irgendwie ausgeführt, sondern auf optimale, biomechanische Prinzipien hin ausgerichtet.

Äußere Kampfkunst arbeitet mehr mit kontextuellem Training. Es geht also um die Frage, wann welche Schläge und Würfe taktisch und technisch sinnvoll sind.

 

So betrachtet haben beide Ansätze Vor- und Nachteile. Der äußere Trainingsansatz ist weniger abstrakt und führt schnell zu praktischen Fertigkeiten, die im Kontext von körperlicher Auseinandersetzung relevant sind. Eventuell schleifen sich aber auch ungünstige Gewohnheiten ein, die später aufwendig korrigiert werden müssen. Innere Trainingsmethoden sind sehr gründlich und arbeiten sofort an einer soliden Basis. Sie liefern noch zusätzliche gesundheitliche Effekte, entwickeln kämpferische Fähigkeiten aber etwas langsamer.

Es wird aber auch schnell klar, dass ein vollständiges Kampfkunstsystem nur mit beiden Aspekten funktionieren kann.

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